Selbstzweifel und die Zufriedenheit nach dem Sprung

Selbstzweifel und die Zufriedenheit nach dem Sprung

Das Verhandlungstraining mit einer Kollegin, die sich auf eine Geschäftsführungsstelle beworben hat, verläuft gut. Ich gebe ihr einen Vorgeschmack auf unangenehme Fragen, die kommen könnten. Wir lachen und ihre Vorfreude ist ansteckend.

Eine Stunde vor dem Bewerbungsgespräch erreicht mich die Nachricht, dass sie jetzt kalte Füße bekommt und am liebsten die Flucht antreten möchte. So macht das unser altes Gehirn und lässt zeitgleich den präfrontalen Kortex nicht zu Wort kommen. Bei Stress-, Angst- und Ohnmachtsgefühlen reagiert es mit Aggression, Flucht oder Einfrieren (fight, flight, freeze). Das machte früher Sinn. In unserer heutigen Welt ist das eher hinderlich. Dann würde sich meine Kollegin vielleicht nicht gerade auf einem Baum verstecken, jedoch mit Schokolade vor den Rechner legen und einen Serienmarathon hinlegen (Flucht). Oder sich lauthals über die Bewerbungsmodalitäten ärgern (Aggression) oder sich sagen, dass das sowieso nichts wird, weil sie nicht gut genug ist (Autoaggression). Das wäre schade.

Die Angst ist da und auch die Bedenken, sich zu überschätzen: „Was denke ich, wer ich bin? Die anderen werden merken, dass ich keine Ahnung habe.“ Und dann können wir wählen.

Zwei Kinder auf dem Drei-Meter-Turm. Seit Wochen warten sie auf den Sommer und auf Schwimmbadwetter. Voller Vorfreude klettern sie hoch. Fest entschlossen. Beide haben Angst. Eine springt. Die andere kehrt um und klettert die Leiter wieder runter. Wer hatte mehr Angst? Und wer wird sich danach besser fühlen?

Milton H. Erickson soll auf die Frage eines Schülers, wie man ein guter Therapeut wird einmal geantwortet haben: „Tun sie einfach so, als wären sie schon einer.“ Das ist keine Anstiftung zur Selbstüberschätzung, sondern eine Ermutigung, etwas trotz der Selbstzweifel zu tun und nicht zu warten oder zu kämpfen, bis die Angst verschwunden ist. Denn wer hat eigentlich gesagt, dass wir nicht auch etwas mit Angst tun können. Das Ergebnis: Wir erleben die Zufriedenheit, die sich einstellt, wenn wir etwas gewagt haben.