Und wo ist jetzt der Sinn?

Und wo ist jetzt der Sinn?

Seit Jahrtausenden beschäftigen sich Menschen mit der Frage nach dem Sinn dieses Hinein-geworfen-seins in die Welt und auch damit, ob es diesen Sinn überhaupt braucht, um ein erfülltes Leben zu führen.

Ein Sinn wird uns gegenwärtig immer weniger von außen diktiert und wir haben die Freiheit diesen für uns selbst zu begreifen, ihn zu für uns selbst zu konstruieren. Unsere Freiräume, unser Umfeld so zu gestalten, dass wir dieses als stimmig erleben sind gewachsen. Einfacher ist es dadurch im Hier und Jetzt nicht geworden. Für viele ist Konsumieren zum Lebenssinn geworden. Das hat, der mich immer wieder inspirierende, Viktor Frankl schon vor 70 Jahren prophezeit. Er machte nicht die äußere Lage für die seelische Gesundheit der Bevölkerung verantwortlich, sondern die Zeitgeistströmung und vermutete, dass seelische Krankheiten, Suizid und Suchterkrankungen in der Wohlstandszeit zunehmen würden. Frankl war österreichischer Neurologe und Psychiater und er stellte schon sehr früh in seinem bewegten Leben die Sinnfrage und rückte sie ins Zentrum seiner Arbeit, welche lange Zeit die Suizidprävention war. 1930 organisierte er, im Alter von 25 Jahren, zur Zeit der Zeugnisverteilung Schüleraktionen, um Schüler mit schlechten Noten vom Suizid abzuhalten. 

1941 verzichtet Frankl auf sein USA-Visum, um seine Eltern, die durch ihn unter Schutz standen, nicht im Stich zu lassen. Ein Jahr später wurden sie ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Er verlor seine Frau, seine Eltern und seinen Bruder, er selbst überlebte vier Konzentrationslager. 1946 erschien sein bekanntestes Buch „…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“. 

Zwei seiner Gedanken begleiten mich seit Jahren: 

1. Was uns stärkt, ist der Fokus auf unsere Handlungsspielräume, auf unsere Möglichkeiten und Freiheitsgrade. 

Im Gegensatz dazu führt uns die Orientierung auf unseren Mangel, auf das was uns fehlt oder das, was wir verloren haben in Leid, Depression und Lebensmüdigkeit. Ein für mich unvergessliches Beispiel: Als Lagerinsasse hatte er keine Kontrolle darüber, wann er aufstand, wann und was er aß, was er tat und wann er schlafen ging. Noch nicht einmal, wann er das Licht ausschaltete. Genug Gründe also, um in Passivität und Depression zu verfallen. Diejenigen allerdings, die sich z.B. bewusst machten, dass sie noch selbst entscheiden konnten, wann sie sich zudeckten, die sich auf die ihnen verbliebene Freiheit konzentrierten, wurden dadurch gestärkt. 

Frankl sagt, dass ich die Wahl habe, wie ich mich zu den Dingen im Außen verhalte. Ich habe die Verantwortung für meine Gedanken und schwere Lebensumstände geben mir die Möglichkeit mich innerlich zu entwickeln. Ich bin nicht Opfer meiner Umstände! 

Frankl nennt dies die Trotzmacht des Geistes. Das gefällt mir. Seine Definition ist der der Resilienz verwandt, obwohl er selbst diesen Begriff nie verwendete. 

2. Der zweite mich begleitende Frankl Gedanke: Sinnerfülltes Leben entfaltet sich dort, wo das was ich gern tue, auf ein Bedürfnis der Welt trifft.

Wo meine Begabung, die Tätigkeit, die mich zufrieden macht – wo genau dies einen Nutzen für ein Gegenüber hat, eine Not lindert, ein Bedürfnis befriedigt. (Simon Sinek bezeichnet dies mit dem eigenen „WHY“) Wo gibt es eine Lücke, einen Schmerz, ein Defizit? Und genau hier, wo diese Bereiche sich treffen, hier entfaltet sich sinnerfülltes zufriedenes Leben. 

Das heißt eben nicht reine Fokussierung auf den Schmerz der Welt und Verzicht. Das heißt nicht Retter- und Helfersyndrom und auch nicht, dass ich nur das tun muss, was mir keine Freude macht, damit ich demütig bleibe. Mich aufzugeben nach der Prämisse „Hauptsache die anderen sind glücklich“. Diese Einstellung führt zu Frustration und eventuell zu Manipulationsbestrebungen, doch noch auf die eigenen Kosten zu kommen. Denn wir Menschen haben Bedürfnisse. Und die können wir uns nicht alle selbst stillen. Wir brauchen einander. Die Sicherheit im Team, in der Familie, in der Partnerschaft. Das Streben nach Zugehörigkeit ist eines unserer stärksten Motivationen. 

Das heißt aber auf der anderen Seite auch nicht Egozentrierung und nur das zu tun, worauf ich im Moment Lust habe, egal, welche Auswirkungen dies auf meine Umwelt hat. Und es heißt nicht, sich ausschließlich auf die eigene Entwicklung und die eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren. Denn dies macht eben auch nicht zufrieden und das große erhoffte Glücksgefühl wird sich nicht einstellen. Hier fehlt der Gegenpart. Der Impact für ein Gegenüber. Denn Wissen bunkern macht nicht zufrieden. Wir brauchen die Polarität. 

Beim Betrachten des eigenen Lebens fällt es gelegentlich schwer, einen sinnvollen Zusammenhang zu erkennen. Widersprüchliche Entscheidungen, Scheitern und immer wieder Aufstehen. Und doch lohnt es sich wiederkehrende Elemente auszugraben, Muster, die wir uns in der Kindheit zugelegt haben, auf heutige Auswirkungen hin zu untersuchen und vor allen Dingen in der Gegenwart zu nutzen. Denn das macht unsere Persönlichkeit aus. Das ist die eigene Form, Ihre eigene Form, die Sie angenommen haben. Und eine hübsche noch dazu. Auch wenn manche Narben immer sichtbar bleiben. Nein gerade, weil sie sichtbar bleiben und auch wenn die Knie ab und zu wieder offen sind. 

Was sich zum Beispiel durch alle Phasen meines Lebens zieht, ist die Lust am Gestalten und Entdecken von Menschen, Natur und Zusammenhängen, am Denken und am Schreiben, am Entwickeln und am Optimieren, am Verbindung schaffen und Gemeinschaft fördern. 

Erikson beschreibt Integrität beeindruckend klar. Lebe ich in Integrität, so lebe ich in Annahme des „einen und einzigen Lebenszyklus und der Menschen, die in ihm notwendig da sein mussten und durch keine anderen ersetzt werde können.“ Er beschreibt, dass im seelischen Zustand der Integrität auch die Liebe zu den Eltern frei von dem Wunsch ist, die Eltern hätten anders sein sollen. In diesem Zustand habe ich erkannt, dass ich selbst für mein Leben verantwortlich bin und keine andere Person mir diese abnimmt. Integrität bedeutet, Kameradschaft zu „Männern und Frauen ferner Zeiten und Lebensformen, die Ordnungen und Dinge und Lehren schufen, welche die menschliche Würde und Liebe vermehrt haben“ zu empfinden. Und es bedeutet, die unterschiedlichen Lebensweisen, die dem Leben Sinn verleihen, zu respektieren und doch bereit zu sein, „die Würde seiner eigenen Lebensform gegen alle physischen und wirtschaftlichen Bedrohungen zu verteidigen.“ 

Zum Schluss noch einige inspirierende Gedanken und Zitate Frankls, dem Begründer der Logotherapie (Logos – Sinn, Therapie – Heilung, also Heilung durch Sinn) 

• „Nun: im Konzentrationslager gab es viele, und schwere, Probleme; aber das Problem für die Häftlinge lautete letztlich: »Werden wir überleben? Denn nur dann hätte unser Leiden einen Sinn.« Doch für mich lautete das Problem anders – mein Problem war genau das umgekehrte: Hat das Leiden, hat das Sterben einen Sinn? Denn nur dann – könnte das Überleben einen Sinn haben! Mit anderen Worten: nur ein sinnvolles – ein auf jeden Fall sinnvolles – Leben erschien mir wert, erlebt zu werden, ein Leben hingegen, dessen Sinnhaftigkeit dem rohesten Zufall ausgeliefert ist – dem Zufall nämlich, ob man mit ihm, dem Leben, nun davonkommt oder nicht –, ein solches Leben, mit so fragwürdigem Sinn, musste mir eigentlich auch dann nicht lebenswert erscheinen, wenn man mit ihm davonkommt.“ (aus Frankl: „Wer ein Warum zu leben hat“) 

• „in der Vergangenheit sind alle Dinge unwiderruflich geborgen“ 

• „Menschsein bedeutet, verantwortlich zu sein, für die Erfüllung des Sinnes der durch ihn, nur durch ihn erfüllt werden kann.“ 

• Frankl sah die Notwendigkeit von Vorbildern, die ihren Sinn gelebt haben oder auch dabei sind entsprechend ihrem eigenen Sinn zu leben. 

• Er selbst freute sich, wenn Menschen in seinen Büchern „Befähigung zur Selbsthilfe durch seine Gedanken“ erhielten. 

• Er sah das Leben als Provisorium, bei dem wir aus jedem Moment das beste machen können. 

• „manchmal, wenn ich zur Selbsterkenntnis komme, bin ich nicht nur enttäuscht von mir selbst, sondern so böse auf mich selbst, dass ich tagelang nicht mit mir rede“ 

• Ist ein Sinn nicht in Sicht, dann resignieren Menschen. 

• Frankl selbst hatte Angst vorm Klettern. Er lernte es trotzdem, dann eben mit der Angst. Sein Standpunkt: „Man muss sich ja nicht alles von sich selbst gefallen lassen.“